Unterwegs im Advent – in Erinnerung an Graham
Out on the road for Advent – in memory of Graham (English version)
Wir freuen uns sehr, dass Andrea, die Frau von Graham, uns für die Adventszeit 24 Häuschen aus Grahams Vermächtnis zur Verfügung gestellt hat und wir euch jeden Tag auf unseren Social-Media-Kanälen zu einem neuen Häuschen mitnehmen können.
Für alle, die auch unser Jubiläumsfanzine gelesen haben, ist das eine Fortsetzung der Häuschenreihe.
Andrea hat nicht nur wunderschöne Häuschenfotos von Graham ausgesucht, sondern auch in einem längeren Interview mit Carmen viel über Graham erzählt.
Graham bleibt unvergessen!
IN MEMORY OF GRAHAM BOOTH
”When I wake up in the morning, I’m happy.
Happy that I get to live another day.“
(Graham)
Wenn Andrea von Graham spricht, wird es einem sofort warm ums Herz. „Er war unglaublich witzig. Er hat mich immer zum Lachen gebracht, war sehr interessiert an allem, wirklich ernsthaft interessiert an Dingen, die passieren in der Welt, hatte ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und war sehr tierlieb. Er hat immer dafür gesorgt, dass die Vögel bei uns auf dem Balkon ausreichend Futter hatten, setzte sich dann früh morgens mit einem Espresso aufs Sofa und beobachtete sie, kannte auch alle Arten. Überhaupt erfreute sich Graham an der Schönheit der Natur und war gerne draußen unterwegs. „Mit seinem englischen Akzent sagte er dann immer ‚Ich gehe explorieren!‘“, erinnert sich Andrea.
Im Sommer 2005 haben sich Andrea und Graham kennen und lieben gelernt. Graham war aus England, lebte und arbeitete aber schon viele Jahre in Deutschland. „Fußball war wirklich eines der zentralen Themen in seinem Leben. Als Engländer hat man das ja quasi in der DNA, dass man sich für Fußball interessiert. Schon als Junge ist er zusammen mit seinen Schulfreund Bryan zum Fußball gegangen“, erzählt Andrea.
Graham ist in Romford aufgewachsen, im Osten Londons. Romford FC ist sein Heimatverein, fast sein ganzes Leben lang schlug sein Herz auch für Leyton Orient.
„Damals als wir frisch zusammen waren, war er und durch Leyton Orient-Fan, die O’s waren sein Ein und Alles. Da hieß es dann immer ‚Orient, Orient, Orient‘“, schmunzelt Andrea. Ich fand es toll, dass jemand so eine große Leidenschaft hat. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch mit Graham bei Leyton Orient in der Brisbane Road: Es war im Winter und es war sehr kalt. Ich habe so gefroren, aber völlig fasziniert auf das Spiel geschaut und dachte ‚Meine Güte sind die schnell!‘, das war ich von den Spielen, die ich bis dahin in Deutschland gesehen hatte, nicht gewohnt.“
In Deutschland hat Graham dann etliche Jahre den VfB Fichte Bielefeld unterstützt, einen Verein in der Nähe seines damaligen Wohnortes. Er hat kleine Spielstätten bevorzugt. Für ihn war der Sport „Fußball“ wichtig und dass man möglichst dicht dran sein konnte. Auch Andrea ging mit zum VfB Fichte Bielefeld und berichtet begeistert, dass es eine großartige Community war, Banner wurden aufgehängt, es gab Schlachtrufe und von der ersten Spielminute bis zur 90. Minute wurde nahezu durchgesungen.
Auch der Kontakt zu den Spielern war sehr persönlich, man wurde mit Handschlag begrüßt und kannte sich. Aus dieser Zeit stammt auch ein T-Shirt, das Graham viele Jahre trug. Es war knallrot und mit den Worten „You are my Soner“ bedruckt. Soner Dayangan war damals ein Stürmer bei Fichte Bielefeld und alle sangen den Spruch nach der Melodie des Evergreens „You are my sunshine“. Das T-Shirt hat Andrea noch, auch wenn der Aufdruck sich mittlerweile fast völlig aufgelöst hat, es ist ein ganz besonderes Erinnerungsstück.
Von 2010 – 2016 lebten die beiden in Bückeburg und Graham folgte eine zeitlang dem dort ansässigen VfL, entschied dann aber, dass ihm Arminia Hannover und die Leute dort mehr lagen. So kam es zu regelmäßigen Besuchen des Lahmannhügels und nach dem Umzug zurück nach Hannover unterstützte Graham die Blauen auch weiterhin.
Eine besondere Fußballleidenschaft von Graham war das Groundspotting. „Graham ist Fußballplätze abgelaufen, also einmal außen um den gesamten Platz, auch wenn dort gerade keine Spiele waren“ schildert Andrea. ‚To spot‘ heißt ja etwas ausfindig machen oder entdecken. Und Graham hat die Plätze teilweise wirklich auf Google Maps entdeckt. Samstags war sein Fußballtag. Dann saß Graham nach dem Frühstück auf dem Sofa mit seinem Laptop, die Füße auf dem Couch-Tisch und in seinem Browser waren ich weiß nicht wie viele Fenster parallel offen“, lacht Andrea. „Er hat Spiele in England verfolgt, in allen möglichen europäischen und außereuropäischen Ligen, natürlich auch in Deutschland und immer war auch ein Fenster mit Google Maps offen, wo er sich suchend ranzoomte, um zu schauen, ob noch irgendwo ein Fußballplatz versteckt sein könnte. Wenn Graham dann so einen Fußballplatz erspähte über das Luftbild in Google Maps, dann hat er recherchiert: Was ist das denn? Spielt da ein Verein? Ist das ein allgemeiner Sportplatz oder ein Fußballplatz? So sind diese Groundspotting-Touren entstanden!“.
Dabei hat Graham immer darauf geachtet, was logistisch die beste Reihenfolge für seine Groundbesuche war und alles ganz genau durchgeplant. Der Wecker wurde auf eine Stunde vor Sonnenaufgang gestellt und mit der aufgehenden Sonne fuhr er los mit seinem ausgedruckten Groundspotting-Plan. Manchmal standen auf dem Tourzettel über 20 Fußballplätze, manchmal war die Tour auch über mehrere Tage aufgeteilt. Die Begehungen folgten einem bestimmten System. „Graham lief immer alle vier Linien der Fußballplätze ab und hielt dabei fotografisch alles aus bestimmten Perspektiven fest, außerdem besondere Features der Spielstätten. Mit dabei waren natürlich auch die Fußballhäuschen, von denen es hunderte Bilder auf seinem Laptop gibt.“, erzählt Andrea.
Auf Twitter (@RomfordReject) dokumentierte Graham in Echtzeit seine Groundspotting-Touren und auf seinem Blog konnte man parallel nochmal alle Touren nachschauen. Zudem wurde alles akribisch in Excel-Dateien festgehalten, z. B. Name der Tour, Anzahl der Plätze, Gesamtstrecke und voraussichtliche Dauer.
Gerade während der Coronazeit hat er fast täglich Groundspotting-Touren unternommen. Auch am 30. März 2022 startete er bei Sonnenaufgang eine Groundspotting-Tour, von der er nicht wieder nach Hause zurückkam. Es war Grahams letzte Tour. Er starb am Ground Nummer Drei plötzlich und unerwartet.
Im Juli/August 2022 machte sich Andrea dann auf den Weg, diese Groundspotting-Tour fortzusetzen und erzählt: „Ich hatte das Bedürfnis die unvollendete Tour zu Ende zu bringen. Ich bin jetzt diejenige, die das in seinem Namen machen kann. Das war ein wichtiges Ziel für mich, die Tour von meinem Mann zu beenden“.
Andrea besuchte zunächst ausschließlich den Platz Drei allein, „weil ich schon wusste, dass das nicht einfach werden würde. Dort habe ich dann rote Rosen abgelegt und Grahams Romford-Reject-Sticker hin geklebt.
Einige Tage später habe ich dann die Tour mit den restlichen Plätzen weitergeführt und schrieb auf Grahams Twitteraccount: ,16 grounds. Tour completed. We did it together.‘”
Auf Grahams Account und seinem Blog kann man auch weiterhin Grahams Groundspotting-Touren nachlesen. Beides zu erhalten ist Andrea wichtig. „Das ist sein Vermächtnis. Ich könnte das niemals löschen, das wäre sonst als ob er nochmal sterben würde.“
Graham Booth (1972 – 2022) FOREVER IN OUR HEARTS
Text: Carmen Mayer
Fotos: Graham und Andrea Booth